Was ist organisationale Ambidextrie?
Ambidextrie setzt sich aus den lateinischen Wörtern «ambo» (beide) und «dextra» (rechte Hand) zusammen. Im medizinischen Sprachgebrauch werden damit Menschen bezeichnet, die beide Hände gleichwertig nutzen können. Übertragen in den unternehmerischen Kontext bedeutet „organisationale Ambidextrie“ so viel wie organisationale Beidhändigkeit und beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, sowohl innovativ als auch effizient zu sein.
Meine Sicht als Unternehmer
Für mich als Unternehmer und Geschäftsführer eines KMU bedeutet das, mir der Aufteilung der mir zur Verfügung stehenden (begrenzten) Ressourcen bewusst zu werden. Statt nur einhändig Effizienz zu optimieren (Exploitation), will ich mit gleicher Priorität an meinen (digitalen) Erneuerungen (Exploration) arbeiten.
Ein Praxisbeispiel
2018 war es ein etwas ungewohntes Bild: Ein Jungunternehmen übernimmt ein traditionsreiches Unternehmen. Doch rückblickend betrachtet, mit dem heutigen Wissensstand, war es wahrscheinlich ein entscheidender Meilenstein, um die Geschichte erfolgreich fortführen zu können.
Mit der Zusammenführung eines jungen Start-ups, welches die Expertise im UI/UX- und Development-Bereich mitbrachte, und einem traditionellen Familienbetrieb mit damals rund 50 Jahren Firmengeschichte, entstand automatisch ein unternehmerisches Spannungsverhältnis zwischen Optimierung und Erneuerung.
Exploitation vs. Exploration
Das unternehmerische Spannungsverhältnis zwischen Optimierung und Erneuerung wird auch mit Exploitation und Exploration beschrieben. Exploitation (engl. Ausbeutung) meint die Aufrechterhaltung oder Ausnutzung bestehender Ressourcen und Geschäftsmodelle. Exploration (engl. Erkundung) steht für das systematische Aufdecken von Potenzialen und die Erneuerung von Geschäftsmodellen.
Die Entwicklung meines Unternehmens
Das Einzelunternehmen, gegründet 1969, hatte historisch bedingt primär eine starke Hand: die Aufrechterhaltung bestehender Routinen und Prozesse für maximale Effizienz. So konnte sich das Unternehmen stabile Umsätze und Gewinne erwirtschaften. Mein damaliges Start-up und ich brachten hingegen Entdecker-Geist, andere Perspektiven und neues Know-how mit. So entstand – ganz unbewusst – eine Symbiose aus Exploitation und Exploration. Eine organisationale Ambidextrie.
Die aktuelle Situation
In den vergangenen Jahren haben wir durch die Einrichtung einer strukturellen Ambidextrie grosse Fortschritte erzielt. Unser Applikationsentwickler und ich fungierten als eine Art «Innovationsabteilung», die unabhängig vom Tagesgeschäft gezielt an neuen Projekten arbeiten konnte. Diese räumliche und organisatorische Trennung hat uns erlaubt, kreative Ideen zu entwickeln und neue Technologien zu testen, ohne die Effizienz unseres Kerngeschäfts zu beeinträchtigen.
Organisch bedingt sind die Teams heute jedoch näher zusammengerückt. Das ist hinsichtlich Kultur eine erfreuliche Entwicklung. Hinsichtlich der organisationalen Ambidextrie besteht jedoch das Risiko, dass wir dadurch langfristig den Fokus auf die Exploitation legen werden – eine ganz natürliche Entwicklung und als solche auch nicht negativ zu bewerten.
Zukunftsaussichten
Um nichtsdestotrotz die Exploration und das damit verbundene Verlassen der Komfortzone regelmäßig zu stärken, ziehe ich es in Betracht, künftig eine Art Hackathons einzuplanen oder gar OKR (Objectives and Key Results) einzuführen. Die Einführung von OKR ist unabhängig von diesem CAS ohnehin ein grosses Thema, in welchem ich viel Potenzial vermute und das nach meiner Einschätzung auch die organisationale Ambidextrie unterstützen würde.
Wie auch immer die Details der Umsetzung aussehen werden: zukünftig möchte ich in meiner Rolle als Führungskraft im Rahmen der organisatorischen Ambidextrie die Gestaltung beider Aspekte – Exploitation und Exploration – bewusst wahrnehmen. Es geht mir darum, das Gleichgewicht zu überprüfen oder gegebenenfalls zu schaffen, indem beide Hände nicht nur gleichzeitig, sondern auch harmonisch zusammenarbeiten. Nur so werden wir in einer sich konstant verändernden Wirtschaftslandschaft bestehen und wachsen können.
Abschliessende Gedanken
Die Herausforderung für mich besteht darin, die für mein Unternehmen passenden Strukturen zu schaffen, welche es ermöglichen, uns mit innovativen Ideen auseinanderzusetzen, ohne dabei die Effizienz und Stabilität des Kerngeschäfts zu gefährden. Eine Kultur zu schaffen, in der kontinuierliche Verbesserungen und Innovationen von allen Mitarbeitenden getragen werden.
So kann nach meiner Einschätzung die organisationale Ambidextrie zu einem dauerhaften Wettbewerbsvorteil unseres Unternehmens werden.